Wissenswertes zur Pflegeversicherung
Was vor der Pflegeversicherung war
Das Pflegegesetz ist noch gar nicht so alt. Bis Ende 1994 wurde die gesamte häusliche Krankenpflege einschl. der Hauswirtschaftlichen Versorgung von den Krankenkassen übernommen. Damals waren bundesweit etwa 1,7 Mill. Menschen nach heutigem Verdständnis pflegebedürftig und schon damals wurden ca. 1,2 Millionen von ihnen Zuhause versorgt. Dazu stellte der zuständige Hausarzt pro Quartal eine Verordnung aus, abgerechnet wurde mir der jeweiligen Krankenkasse. Pflegegeld als Solches war unbekannt, wer selbst pflegte, pflegte gratis.
Start des Pflegegesetzes
Um die Kosten grundpflegerischer Tätigkeiten auszulagern- Pflegebedürftige sind ja nicht zwangsläufig auch gleichzeitig krank- wurde das XI. Sozialgesetzbuch (Pflegegesetz) geschaffen und mit ihm die sog. Pflegekassen. Das Besondere: „Die Pflegekasse“ als Solche wie z.B. die Rentenkasse, oder die Berufsgenossenschaften gibt es nicht. Damit sich die Einführung der Pflegeversicherung damals nicht noch länger verzögert, wurden der Einfachheit halber die verschiedenen Pflegekassen bei den jeweiligen Krankenkassen angegliedert. Noch heute heißt die Anschrift einiger Pflegekassen „Die Pflegekasse bei der ....Krankenkasse“.
Finanzierung des Pflegegesetzes
Den Start des Pflegegesetzes haben damals alle Arbeitnehmer mitbekommen. Um ein finanzielles Polster für die neue Pflegeversicherung zu schaffen wurde zunächst bei der Lohnabrechnung mit dem Januargehalt des Jahres 1995 1,0% des Lohns einbehalten. Bis März 1995 konnte so ein beachtliches Finanzpolster bereitgestellt werden. Ab 01. April 1995 konnten dann zum ersten Mal Pflegeleistungen oder Pflegegeld ausbezahlt werden. Später erhöhte sich der monatliche Abzug vom Lohn auf 1,7%, im Jahr 2008 auf 1,95% und 2,2% für Kinderlose, seit 2015 auf 2,35% und 2,6%, ab 2023 bei voraussichtlich 3,4 % und 3,75% für Kinderlose (Stand 01/2023).
Was anders ist beim SGB XI
Das Besondere am XI. Sozialgesetzbuch ist die Tatsache, dass grundsätzlich vorab erst geprüft werden muss, ob Betroffene überhaupt Ansprüche auf Leistungen nach dem Pflegegesetz haben. Das ist bei anderen Sozialgesetzbüchern anders: Beim SGB V (gesetzliche Krankenversicherung) genügt alleine die Tatsache dass ich Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse bin, also im Besitz einer Krankenversicherungskarte.
Die Rolle des MdK
Die Einstufung durch den Medizinschen Dienst der Krankenkassen (MdK) erfolgt im Auftrag der jeweiligen Krankenkassen, denn Sozialversicherungsfachangestellte verfügen in der Regel nicht über medizin-pflegerische Sachkenntnis. Das Ergebnis der Einschätzung durch den MdK ist richtungsweisend dafür, ob sich für den Betroffenen das SGB XI überhaupt öffnet oder nicht. Der MdK entscheidet nicht über einen Pflegegrad, er empfiehlt nur. Das heißt, für die zuständige Pflegekasse ist die Einschätzung durch den MdK nicht bindend; sie kann unabhängig davon entscheiden.
Die Fachlichkeit beim Pflegegesetz
Wer Pflegeleistungen nach dem Pflegegesetz ordert, hat keinen Anspruch darauf, dass fachlich qualifiziertes Pflegepersonal kommt. Das ist im Pflegegesetz so nicht vorgesehen, es handelt sich lediglich um eine Ersatzpflege für pflegende Angehörige. Und die sind in aller Regel ja auch Pflegelaien. Es ist also völlig legal, dass zur Grundpflege und Hauswirtschaftlichen Versorgung nicht ausgebildetes Personal erscheint, solange die beauftragte Einrichtung dafür haftet. Das Pflegequalitätssicherungsgesetz aus dem Jahr 2002 regelt nur die Überprüfung der staionären und ambulanten Pflegeeinrichtungen als Solches.
Beratung nach dem Pflegegesetz
Regelmäßige Pflegebesuche durch eine voll ausgebildete Fachkraft sind für die Empfänger von Pflegegeld Pflicht. Das heißt, für alle Pflegebedüftigen die Zuhause leben, von Angehörigen gepflegt werden und dafür Pflegegeld erhalten sind sog. Beratungsbesuche nach §37 Absatz 3 des Pflegegesetzes verpflichtend. In Deutschland trifft das aktuell auf ca. 4 Millionen Pflegebedürfte zu. Bei Pflegrad 2 und 3 alle sechs Monate, also zwei mal jährlich und bei Pflegegrad 4 und 5 alle drei Monate vier mal jährlich. Wer diese Fristen versäumt, riskiert eine Kürzung seines Pflegegeldes um bis zu 50%.
Die Befürworter des Pflegegesetzes
Medizinische Maßnahmen haben nichts mit Pflege zu tun, Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege sind eigenständig. Außerdem ist der Begriff „Pflege“ und die Tätigkeit gesetzlich nicht geschützt. Das sind nur die Berufsbezeichnungen wie Krankenschwester, Krankenpfleger, Kinderkrankenschwester(-pfleger), Gesundheitsund KrankenpflegerInnen, AltenpflegerInnen und so weiter. Wäre das anders, würde sich jede Mutter und jeder Vater automatisch strafbar, wenn sie/er das eigene kranke Kind Zuhause versorgt und pflegt. Für die Betroffenen, die Pflegedienste und Sozialstationen war das Pflegegesetz die lange erwartete Lösung von den sog. ärztlich delegierten Maßnahmen, die noch heute im V. SGB im § 37 (Krankenbehandlung) geregelt sind. Der behandelnde Haus- oder Facharzt delegiert auch heute noch Teile ärztl. Maßnahmen an examinierte Krankenschwestern und -pfleger, die mit der zuständigen Krankenkasse abrechnenunabhängig von einem möglichen Pflegegrad. In den Gesetzeskommentaren heißt es übrigens noch immer, dass eine ambulante Behandlung gegenüber einer Stationären Vorrang hat.
Kritik am Pflegegesetz
Kritiker des Pflegegesetzes meinen, die Einführung des SGB XI aufgrund der demographischen Alterspyramde sei damals nur eine gigantische Kostenverschiebung gewesen, um eine notwendige Erhöhung der Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen abzuwenden. Schon damals nannte man die pflegenden Angehörigen „den größten Pflegedienst Deutschlands“.
Die persönliche Meinung
Für mich gilt ein Zitat der Rheinland-Pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die selbst an MS erkrankt ist und damit offen umgeht. Sie meinte schon im Dezember 2017: „Am Umgang mit Schwachen zeigt sich die Stärke einer Gesellschaft“! Ich habe in meinem Beruf als Krankenpfleger Menschen kennengelernt, die jahrelang und über Jahrzehnte hinweg ihre pflegebedürftigen Angehörigen versorgt haben, ohne davon großes Aufsehen zu machen. Ans Licht gekommen sind diese Schicksale nur durch die Pflegebesuche nach dem Paragraphen 37.3 im XI. Sozialgesetzbuch.